IVZ vom 08.02.2012 (Dietlind Ellerich)
Mettingen. Prominenter Besuch am Dienstagabend im Bürgerzentrum: Schauspieler Walter Sittler war zu Gast. Aber war er es wirklich? Oder war es nicht vielmehr der Schriftsteller Erich Kästner? Im Laufe von Sittlers Bühnenprogramm „Vom Kleinmaleins des Seins“ schienen die Ebenen zu verschwimmen, die beiden Männer eins zu werden. „Vom Kleinmaleins des Seins“, einem halben Jahrhundert aus dem Leben des Schriftstellers Erich Kästner, erzählte der Schauspieler Walter Sittler auf Einladung des Fördervereins Mettinger Schultenhof vor ausverkauftem Haus im Bürgerzentrum.
„Er hatte blaue Augen, still ergrauendes gewelltes Haar, buschige Brauen, schöne Wimpern (...), ein verschmitztes Lächeln, (...)“, stand, saß, tänzelte oder lag am Montag auf der Bühne des Mettinger Bürgerzentrums und begeisterte das Publikum im ausverkauften Saal. Doch von wem ließen sich die Zuschauer zum Schmunzeln und Lachen bringen oder beinahe zu Tränen rühren? Ist es der Schauspieler Walter Sittler oder gar der Schriftsteller Erich Kästner selbst, der „Vom Kleinmaleins des Seins“ erzählt? Im Laufe des eineinhalbstündigen Bühnenprogramms scheinen die Ebenen zu verschwimmen, die beiden Männer eins zu werden. Nicht nur, was das äußere Erscheinungsbild angeht.
Sittler – oder Kästner – im Anzug und Trenchcoat, mit Stockschirm und Hut blickt zurück auf ein bewegtes Leben – mal ruhig und nachdenklich, mal emotional, wehmütig, ironisch, aber sprachlich immer auf den Punkt gebracht. Die Aneinanderreihung von Ausschnitten aus Kästners Briefen, Aufzeichnungen, Gedichten, Glossen, Berichten und Rezensionen schreibt nicht nur ein Stück Lebensgeschichte des Schriftstellers, sondern auch ein Stück deutscher Geschichte. Die Fortsetzung des Publikumserfolgs „Als ich ein kleiner Junge war“ lässt ein gutes halbes Jahrhundert vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Tod Kästners im Jahre 1974 Revue passieren. Der „kleine Junge“ ist erwachsen geworden.
Er zieht von Dresden, über Leipzig und Berlin nach München, erlebt die Weltwirtschaftskrise, die Bücherverbrennung, das Wirtschaftswunder, den Tod der geliebten Mutter. In den Briefen an sein „liebes gutes Muttchen“ wird er im Laufe der Jahrzehnte vom „Millionen Küsschen“ verschickenden Jungen oder vom „kleinen Schriftsteller“ zum „ollen Jungen“, der aufgrund seiner scharfen Beobachtungsgabe detailliert in Erinnerungen schwelgen kann.
Sittler rekapituliert das private, berufliche und politische Leben des Schriftstellers, der sein erstes Kinderbuch „Emil und die Detektive „ungeplant“ schrieb, eine „unbändige Freude“ dabei empfand und sensationellen Erfolg hatte, als wäre er mit Kästner aufgewachsen. Dabei habe er ihn erst spät kennengelernt, verrät Sittler im Vorwort des Buches zur autobiografischen Bühnenerzählung. Doch „je öfter ich ihn lese, desto besser wird er“, hat er beobachtet. Walter Sittler, der das „Kleinmaleins des Seins“ auswendig und sehr lebendig spielt, konnte sich bei seinem zweiten Kästner-Bühnenprogramm auf ein bewährtes Team verlassen. Das Skript verfasste Martin Mühleis, der auch Regie führte, für die Musik zeichnete Libor Sima verantwortlich, der mit fünf Kollegen für den passenden musikalischen Hintergrund sorgte.
Die Zuschauer im Bürgerzentrum dankten einem brillanten Schauspieler, grandiosen Musikern und vielleicht auch einem großartigen Schriftsteller mit kaum enden wollendem Applaus. Der eine oder andere nahm sich sogar vor, in seinem Bücherschrank zu kramen und Kästner noch einmal für sich zu entdecken.Barbara Brüning, Vorsitzende vom veranstaltenden Förderverein Mettinger Schultenhof, verabschiedete Walter Sittler und sein hochkarätig besetztes Musikerensemble wie alte Freunde. Und es sah so aus, als würden sich alle über ein Wiedersehen freuen.