Joachim Król in Mettingen (Bericht in der IVZ vom 24.01.2013 von Dietlind Ellerich)

Joachim Król lässt Bariccos Seide spürbar werden

Joachim Król kann nicht nur Film, er ist auch ein toller Theaterschauspieler und seit Beginn des Jahres mit einer szenischen Lesung des Erfolgsromans "Seide" des italienischen Autors Alessandro Bariccoauf auf Tour. Am Dienstag machte er Station in Mettingen.

METTINGEN. „Für seinen Lebensunterhalt kaufte und verkaufte Hervé Joncour Seidenraupen… Er kaufte und verkaufte. Seidenraupen.“ Wenn Joachim Król von „Seide“ spricht, kann man geradezu fühlen und auch sehen, wie ihm das Material glatt, leicht und weich durch die Finger gleitet. Mit seiner Stimme, seiner Mimik und seiner Gestik erreicht der Schauspieler mehr Bühnenpräsenz, als es manches Ensemble vermag. Król und die wunderbare Musik des „South of the Border Jazztrio“ – mehr braucht es nicht, um einen ganzen Roman auf die Bühne zu bringen. Gut zwei Stunden lang hängt das Publikum im voll besetzten Bürgerzentrum an den Lippen des Schauspielers, der den meisten als Ermittler Brunetti, Lutter oder Steier, als Norbert im Adamskostüm oder als pedantischer Logistiker eines Leverkusener Modeversandhandels bekannt sein dürfte.

Doch Król kann nicht nur Film, er ist auch ein toller Theaterschauspieler und seit Beginn des Jahres mit einer szenischen Lesung auf Tour. Am Dienstag macht er – nicht räumlich, aber zeitlich zwischen Hamburg und Bremen Station in Mettingen. „Seide“, der Erfolgsroman des italienischen Autors Alessandro Baricco, steht auf dem Programm des Fördervereins Mettinger Schultenhof. Das war so erst gar nicht geplant. Denn Haruki Murakami hatte die ursprünglich vorgesehene Aufführung seines Stücks „Gefährliche Geliebte“ – ebenfalls mit Król – untersagt. Nach Japan zieht es das Publikum dennoch. Gemeinsam mit dem Seidenhändler Hervé Joncour reist es von Südfrankreich in den Fernen Osten, lernt japanische Traditionen kennen und erlebt eine so berührende wie tragische Liebesgeschichte voller Gefühle, Sehnsüchte und Enttäuschungen.

In der Inszenierung unter der Regie von    Martin Mühleis stimmt einfach alles. Joachim Król zieht alle Register, beherrscht die gesamte Klaviatur der Emotionen, erzählt verschmitzt, genießerisch, verschwörerisch oder fasziniert, vor allem aber faszinierend und immer den richtigen Ton treffend. Die drei Musiker begleiten und untermalen Króls Spiel mal zurückhaltend, mal vorantreibend, füllen Pausen, ohne Lückenbüßer zu sein.

 Die Zuschauer verfolgen die Lesung  gebannt, kaum ein Räuspern unterbricht die Stille. „Bisweilen, an windigen Tagen, ging er zum See hinunter und schaute stundenlang hinaus, denn es schien ihm, als zeichne sich auf dem Wasser das unerklärliche, schwerelose Schauspiel dessen ab, was sein Leben gewesen war.“

Das Publikum verharrt einen Augenblick, bis es hingerissen und lange applaudiert und den Schauspieler und die Musiker noch viele Male vor den Vorhang holt. Nicht nur die Zuschauer, auch Barbara Brüning, Vorsitzende des Fördervereins, und ihre Vorstandskollegen sind begeistert von Król und dem „South of the Border Jazztrio“ mit Gee Hye Lee am Klavier, Christoph Dangelmaier am Bass und Ekkehard Rössle an der Bassklarinette und am Saxophon. Ein toller Auftakt zu einem ehrgeizigen Projekt, das der Verein in diesem Jahr organisiert – die zwölftägige LiteraTour 2013. Im November sollen weitere prominente Interpreten an verschiedenen Spielstätten lesen.